Nun ist es also soweit: nach jahrelangen Verzögerungen bei Entwicklung und Zulassung sind die ersten Maschinen der COMAC C919 inzwischen im eingeschränkten Linieneinsatz. Eingeschränkt deswegen, da die neuen Jets bisher lediglich zwischen der chinesischen Finanzmetropole Shanghai und Sichuans Hauptstadt Chengdu pendeln. Noch werden die C919 nicht ganz von der Leine gelassen, sie fliegen täglich lediglich zwei, maximal drei Sektoren pro Flugzeug. Dazwischen stehen an beiden Destinationen Wartungstechniker von COMAC und Erstbetreiberin China Eastern Airlines bereit, um die Flugzeuge zu kontrollieren, zu warten und um Daten und Informationen zu sammeln, wie sich das neue Muster im Liniendienst bewährt. Die Dispatch Reliability, also die technische Verfügbarkeit des Flugzeugs vor dem Start, liegt denn auch bei annähernd 100 Prozent.
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Aber wie fliegt es sich nun an Bord des Flaggschiffs der chinesischen Zivilluftfahrt?
Wie ein Schweizer Uhrwerk in China
Vorab: Wer das tägliche Chaos in Deutschland mit häufigen Flugverspätungen und Flugstreichungen gewohnt ist, lernt in China schnell, dass es auch im Jahr 2024 noch anders geht. Der gesamte Buchungsprozess, die Check-In-Formalitäten sowie die Sicherheitskontrolle, die Flugzeugabfertigung und der Flug selbst sind zuverlässig, pünktlich und effizient organisiert.
Tickets lassen sich einfach als e-Ticket über die Website von China Eastern Airlines oder einschlägige Buchungsportale auch mit westlichen Kreditkarten erwerben. Der Check-In erfolgt wahlweise online ab 48 Stunden vor Abflug, wobei sich kostenlos ein Wunschsitzplatz auswählen lässt, am Check-In Automaten im großzügig gestalteten Terminal des Flughafens Shanghai-Hongqiao oder ohne Mehrkosten auch am regulären, personenbesetzten Schalter.
Vie COMAC C919 fliegen inzwischen für China Eastern - seit Kurzem auch nach Peking.
Zügige Sicherheitskontrolle
Ich selbst habe für meinen C919-Flug zwar online eingecheckt, begebe mich aber vor dem Abflug trotzdem noch zum normalen Schalter, um eine physische Bordkarte drucken zu lassen. Der Grund: In China ist eine Papier-Bordkarte nach wie vor Pflicht, da diese an der Sicherheitskontrolle abgestempelt wird. Ohne diesen Stempel darf man das Flugzeug nicht besteigen. Ganz nebenbei will ich es mir außerdem nicht nehmen lassen, für meinen ersten C919 Flug eine klassische Bordkarte als Erinnerung zu sichern.
Auch lange Schlangen aufgrund von Personalmangel sind im China von 2024 Fehlanzeige. Etwa 40 Kontrollspuren sind gleichzeitig geöffnet, um die durchschnittlich 115.000 Passagiere pro Tag ohne lange Wartezeit abzufertigen. Dabei sind die Kontrollen am Flughafen Hongqiao auffallend genau, selbst für Inlandsflüge werden von jedem Passagier die Ausweisdokumente kontrolliert, im Computersystem vermerkt und von Passagieren mit ausländischem Pass wird sogar ein Foto angefertigt.
Trotz Bus-Gate: Das Boarding in Shanghai für unseren C919-Flug erfolgt überpünktlich.
Boarding am Bus-Gate
Nach der Sicherheitskontrolle sind es nur noch wenige Minuten zum Gate 52, an dem Flug MU9197 heute abgefertigt wird. Schade bei all dem Bohei, das in China um das neue Flugzeug gemacht wird, ist eigentlich nur, dass der Flug lediglich von einem Bus-Gate aus abgefertigt wird – und "unsere C919" gut versteckt vor dem Wartungshangar der China Eastern am hintersten Ende des Flugplatzes parkt.
Das Boarding beginnt trotzdem überpünktlich – und endet exakt 15 Minuten vor Abflug. Eingestiegen wird allein über die vordere Treppe. So bleibt mir genug Zeit, die brandneue C919 endlich das erste Mal live von außen in Augenschein zu nehmen. Elegant und sauber steht sie da in ihrem jungfräulichen Lack. In ihrer Erscheinung, von der Frontsektion und den raked Wingtips mal abgesehen, erinnert sie aber doch sehr an eine A320. Dazu trägt sicher auch bei, dass unter den Flügeln zwei Motoren vom Typ CFM LEAP hängen, die es auch für den Airbus-Jet als Option gibt.
Die äußere Erscheinung der C919 ähnelt - wenig überraschend - stark dem Airbus A320neo.
Der erste Eindruck? Einladend!
Schließlich ist es Zeit einzusteigen. An der großzügig dimensionierten Eingangstür werde ich, als einzige "Langnase" an Bord, freundlich auf Englisch mit den Worten "Welcome on board of our brand new C919!" begrüßt. Die Kabine ist zweigeteilt, im vorderen Bereich befinden sich acht vollwertige Business-Class Plätze, jeweils in 2-2 Anordnung. Hinter einer Trennwand folgen dann die 156 Economy-Class-Plätze in klassischer 3-3 Bestuhlung. Die Kabine selbst ist in hellen Beigetönen gehalten und wirkt freundlich und einladend. Die in der Decke verbauten LEDs lassen sich in unterschiedlichen Farbtönen einstellen und erinnern ein wenig an das bei Boeing verbaute mood-lighting.
Nach den ersten Eindrücken lasse ich mich erwartungsfroh auf meinem Fensterplatz mit der ungewohnten Sitznummer 50L nieder (die Sitzplätze sind mit ABC-JKL gekennzeichnet). Und da beginnt auch schon der Pushback – drei Minuten vor der planmäßigen Abflugszeit. Wann hatte ich das in Frankfurt das letzte Mal, dass ein Flug sogar vor der Zeit beginnt?
China Eastern fliegt die C919 mit Zwei-Klassen-Kabine. Vorn residieren die Passagiere der Business-Class auf diesen Sitzen.
Raus aus dem Smog
Die Rollzeit bis zur Startbahn 36L ist kurz. Um 8:21 Uhr Ortszeit schiebt die co*ckpit-Crew die Schubhebel auf Startleistung. Die leistungsstarken CFM-LEAP-1C Triebwerke verleihen der C919 eine eindrucksvolle Performance – die mich direkt tief in den Sitz presst. Wenig später sind wir auch schon in der Luft. Mit enormer Steigleistung erheben wir uns in den diesigen, smogerfüllten Winterhimmel von Shanghai.
Nach diesem sportlichen Start dauert es nicht lange, bis die C919 ihre Reiseflughöhe erreicht. Bevor die Cabin Crew mit dem Bordservice beginnt, nutze ich die Zeit, um die Kabine zu erkunden. Eines fällt mir bei meinem "Spaziergang" sofort auf: alles ist picobello sauber und gepflegt. Gut, der Flieger hat erst knapp 5 Monate auf dem Buckel – dass er aber noch immer so aussieht, als käme er gerade von seinem Auslieferungsflug, ist trotzdem nicht selbstverständlich. Die akkurat am Sitz verstauten Bordmagazine, Spuckbeutel und Safety Cards, völlig unversehrt und penibel in den Sitztaschen geordnet, unterstreichen meinen Eindruck: makellos!
Die Kabine der C919 wirkt einladend, leise und freundlich, alles ist makellos sauber und aufgeräumt.
Leise Kabine, große Fenster
Und noch was fällt mir auf: Der Geräuschpegel an Bord ist sehr angenehm und es ist problemlos möglich, sich in Zimmerlautstärke zu unterhalten. Auch hier spielt die C919 in einer Liga mit der A320neo.
Eins aber hat die C919 der A320 voraus: die deutlich größeren Kabinenfenster! Dadurch flutet die Sonne die Kabine mit viel Tageslicht – und während man in früheren Zivilflugzeugen chinesischer Produktion, wie dem Turboprop MA60 oder dem MD-90-Abklatsch ARJ21, oft eine mangelhafte Verarbeitung mit großen Spaltmaßen vorfand und viel billiges Material, wie zum Beispiel Hartplastik verbaut wurde, markiert die C919 auch hier einen großen Sprung nach vorn. Die verwendeten Materialien wirken hochwertig und die Verarbeitungsqualität steht der eines westlichen Musters in nichts nach.
Die Fenster der C919 sind deutlich größer dimensioniert als bei der A320neo. Selbiges gilt für die Toiletten.
Clevere Gepäckfächer
Manches ist in meinen Augen sogar cleverer gelöst. Zum Beispiel die Klapptische, die sich nicht nur nach vorne ausziehen lassen, sondern bei denen sich die Auflagefläche beim Ausziehen um etwa ein Drittel vergrößert. Oder die Gepäckfächer, die wie in Langstreckenmustern von Boeing beim Öffnen nach unten schwenken und mehr Volumen fassen. Sie tragen dazu bei, das Einsteigen entscheidend zu beschleunigen: Es passt nicht nur mehr hinein, das Handgepäck lässt sich durch die niedrigere Beladungshöhe auch leichter verstauen.
Die Toiletten – beinahe üppig
Positiv aus Passagiersicht fällt zudem auf, dass die ganze Kabine im Vergleich zu westlichen Mustern noch nicht so überoptimiert zu sein scheint. So finden sich im hinteren Teil der Kabine zwei klassische, vor der Galley angeordnete Toiletten links und rechts. Die fallen für einen durchschnittlich gewachsenen Mitteleuropäer zwar auch recht klein aus. Aber im Vergleich zu den Toiletten in der A320neo, bei denen man sich am besten vorher entscheidet ob man vorwärts oder rückwärts durch die Tür tritt, wirken sie schon beinahe üppig. Ebenso ist ein vollwertiges Waschbecken verbaut.
Inzwischen haben die Flight Attendants mit dem Service begonnen. Bevor ich zwischen die bis oben hin mit Getränken und Essen vollgepackten Trolleys gerate, flitze ich deshalb schnell zurück auf meinen Sitzplatz. Womit wir beim Thema Sitzkomfort angekommen wären – dem vielleicht wichtigsten Kriterium für Passagiere.
Nach dem Start in Shanghai ist die Wolkendecke im Nu durchstoßen.
Sitzkomfort? Geht so
Leider hat hier auch in China die Optimierungskeule zugeschlagen und die Zeiten der bequemen, breiten, plüschigen Flugzeugsessel, in die man so herrlich träumend versinken konnte, sind auch im Reich der Mitte längst Geschichte. Die Sitze der C919 sind ähnlich dünn und wirken auf den ersten Anschein ähnlich unbequem, wie die Standardsitze, die man inzwischen weltweit im Kurzstreckenverkehr kennt. Tatsächlich bestätigt sich der erste Eindruck schnell, besonders gemütlich sitzt es sich auf dem Gestühl jedenfalls nicht. Und der eher raue, wenig anschmiegsame Stoffbezug kann mit dem im Westen verbreiteten Leder in Sachen Wertigkeit nicht mithalten.
Verstellbare Rückenlehnen
Auf dem über dreistündigen Flug fallen aber dennoch zwei entscheidende Dinge positiv auf: Während sich selbst in den A320neo einiger namhafter Premium-Airlines die Sitzlehnen im hinteren Bereich der Kabine nicht mehr verstellen lassen, kommen hier alle Passagiere in den Genuss einer verstellbaren Rückenlehne, die sich noch dazu sehr weit zurückstellen lässt. In Kombination mit den von der Langstrecke bekannten verstellbaren Kopfauflagen, bei denen man zusätzlich die Seiten hochklappen kann, um den Kopf anzulehnen, lässt es sich auch auf dem recht langen Flug am Ende trotzdem entspannt und komfortabel reisen. Als kleine Aufmerksamkeit liegt außerdem an jedem Passagierplatz eine Decke bereit.
Für den Blick aus dem Fenster muss sich der Durchschnittseuropäer im Sitz etwas nach vorne beugen.
Optimiert für Asiaten
Einzig zu groß gewachsen sollte man nicht sein, denn die Kopfauflagen lassen sich zwar in der Höhe verstellen, allerdings muss ich sie, um bequem zu sitzen, bereits standardmäßig ganz nach oben ausfahren – und ich bin lediglich 1,80 Meter groß. Dass das Innere der C919 eher auf die im Schnitt deutlich kleineren Asiaten angepasst ist, erkennt man auch an der Lage der Fenster, die ähnlich wie in einer Fokker 100 recht tief sitzen. Großgewachsene Personen werden sich auch hier etwas bücken müssen, um aus dem Fenster zu schauen. Kinder dagegen dürften begeistert sein – weil sie endlich ohne große Sitzerhöhung bestens nach draußen blicken können.
Auf allen C919-Flügen serviert China Eastern ein vollwertiges Menü - kostenlos natürlich.
Hervorragender Bordservice
Bevor ich aber mit meinen Gedanken weiter abschweifen kann, ob die C919 nun aufgrund der Fenster das perfekte Flugzeug für den Familienausflug ist, nähern sich die Flugbegleiterinnen mit dem Service-Trolley – und der hält in der Tat ein Angebot bereit, das der zur Bescheidenheit erzogene, serviceentwöhnte Fluggast aus Europa in der Economy-Class nicht mehr kennt. Denn China Eastern offeriert (nicht nur) in der C919 standardmäßig eine kostenlose warme Mahlzeit und eine vollwertige Getränkeauswahl.
Doch nicht nur das: Dem ersten Serviceblock folgt sogar noch ein weiterer Getränkeservice sowie Kaffee und Tee. Auch hier zeigt sich wieder, wie stolz man auf den neuen Spross in der Flottenfamilie ist. So prangt doch auf dem obligatorisch servierten Nachtisch das Logo der C919 und eine Silhouette des Flugzeugs.
In China sind sie sichtlich stolz auf die C919. Selbst auf dem Nachtisch wird der neue Airliner gefeiert.
Chinas ganzer Stolz
Dieser Stolz auf die vollständig in China entwickelte C919 zieht sich ohnehin wie ein roter Faden durch mein gesamtes Erlebnis rund um den neuen Jet. Schon bei der Buchung auf der Website hatte mich China Eastern in Signalfarbe darauf hingewiesen, dass der gewählte Flug mit einer C919 durchgeführt werde. Am Gate standen große Aufsteller, die die neue Maschine bewarben und an Bord wurde man vor dem Start nicht nur explizit auf die bevorstehende Reise in der C919 hingewiesen. An vielen Stellen im Flugzeug findet sich auch ein speziell entworfenes Logo mit den Worten: "The World’s First C919". So zum Beispiel auf den Spucktüten, den Sitzbezügen und auf den Servietten. Der gebrandete Nachtisch ist da nur das Tüpfelchen auf dem i. Als Krönung händigt die Kabinenbesatzung mir sogar ein Zertifikat für den Flug an Bord einer der ersten C919 der Welt aus.
Bislang absolvieren die C919 bei China Eastern nur maximal drei Flugsektoren am Tag. Das dürfte sich bald ändern.
Ankunft in Chengdu
Nach drei Stunden und 17 Minuten Flugzeit landen wir schließlich pünktlich am 2021 eröffneten Flughafen Chengdu-Tianfu, wo wir endlich auch standesgemäß eine Gate-Position bekommen.
Anders als beim Abflug in Shanghai reiht sich die COMAC hier fast unbemerkt zwischen die vielen A320 an den Nachbargates ein. Niemand scheint groß Notiz davon zu nehmen, dass hier gerade ein Stück chinesische Luftfahrtgeschichte gelandet ist. Die C919 ist eben doch schon ein ganzes Stück weit im normalen Linienbetrieb angekommen.
Fazit
Insgesamt aus Sicht des Flugpassagiers ein absolut gelungener Einstand für den chinesischen Neuankömmling. Ich habe die COMAC C919 als sehr angenehm, leise und bequem empfunden. Manches an Bord ist sehr pfiffig und innovativ gelöst und das hervorragende Bordprodukt sowie die charmante Besatzung runden den positiven Gesamteindruck ab. Wie sich die Maschine wirtschaftlich für die Airlines bewährt, wird die Zukunft zeigen. Aber das ist Teil einer anderen Geschichte.
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